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Kalifornien in der Krise

24. April von Kathrin | Einsortiert unter Arbeit.

Seit letzter Woche arbeite ich drei Tage in der Woche für das Bay Area Council. Das ist eine Business Organisation mit ca. 225 CEO’s als Mitglieder. Eigentlich nicht mein Bereich, aber ich arbeite in einem Projekt mit, dass sich California Constitutional Convention nennt. (Und wie ihr noch lesen werdet, besteht ein hoher Bedarf an politischer Bildung.)Von Deutschland aus betrachtet sieht Kalifornien ja irgendwie immer sonnig und gut gelaunt aus, aber je länger wir hier leben, umso deutlicher wird, das dieser Staat mit vielen, sehr gravierenden Problemen zu kämpfen hat. Über die Krise im Health Care und Education Bereich lesen wir oft etwas. Trotzdem ist erschreckend zu hören, dass in Kalifornien fast 7 Millionen Menschen ohne Krankenversicherung leben und das der Staat in Pisa-ähnlichen Studien nur auf dem vorletzten Platz landet. Lediglich Mississippi (ein Country mit weniger als einer Sprache, wie ein Kollege meinte) schneidet noch schlechter ab. Das Wasserversorgungssystem ist völlig veraltet und die Gefägnisse sind so überfüllt und schlecht geführt, dass die Regierung in Washington Kalifornien die Aufsicht darüber entzogen hat und nun droht täglich 10.000 Insassen freizulassen, da die Zustände unhaltbar sind. Hinzukommt, dass Kalifornien in den letzten 23 Jahren nur viermal pünktlich einen Haushalt verabschieden konnte. Das liegt vor allem daran, dass sich Republikaner und Demokraten in fast allen Bereichen unversöhnlich gegenüber stehen. Eine für den Haushalt notwendige 2/3 Mehrheit kommt so nicht zustande.

Jetzt gibt es mehrere Organisationen (allen voran das Bay Area Council) und auch einige Politiker, die einen Verfassungskonvent anstreben. Ihre Begründung: Es sind nicht die Abgeordneten oder der Gouvernor, sondern unser System, unsere Verfassung führt zu einer Situation in der keine Kompromisse gefunden werden können. Schon mehrmals hab ich den Satz gehört: Kalifornien ist unregierbar.

Ich kürze die Diskussion über die möglichen Wege zu einem Verfassungskonvent mal ab und beschreibe kurz den Weg, den “meine” Organisation gehen will: Im November 2010 wird in Kalifornien gewählt. Ziel ist es, bis dahin zwei Propositions auf den Weg zu bringen. Eine Proposition ist ein Vorschlag über den Wähler am Tag der Wahl mit abstimmen. Im Wahlkampf gibt es dann Werbespots oder Anzeigen für diese Proposition und meine Chef hat mir erzählt, dass dort in großem Stil gelogen wird. Z.B: fragt eine Frau in einem Spot mit zuckersüßer Stimme, ob man nicht auch wolle, das Kalifornien mehr Lehrer einstelle.  – Klar, da sagt man nicht nein. Die Proposition ist aber so verschwurbelt geschrieben, das man am Ende sogar für eine Kürzung von Lehrerstellen gestimmt hat.  Und da man zur Wahl ein ganzes Buch mit Propositions bekommt, schafft es eigentlich niemand sich adäquat zu informieren. (Hier wäre eine bpb hilfreich!)

Das Bay Area Council will also mit Unterstützung von anderen Organisationen zwei Propositions einreichen. (Man reicht übrigens insgesamt drei oder vier beim Attorney General ein, da wegen Verfahrensfehler Props ausgeschlossen werden können. So kann man relativ sicher sein, dass zumindest eine durch kommt.) Die erste stellt die Frage, ob ein Verfassungskonvent einberufen werden soll und die zweite beschreibt dann das Verfahren.

Unser Job ist es, im Sommer möglichst viele Veranstaltungen in Kalifornien zu organisieren und für dieses Vorhaben zu werben. Denn man braucht fast 800.000 Stimmen, um die Props für die Wahl zuzulassen.

In den letzten beiden Wochen durfte ich an zwei Veranstaltungen teilnehmen. Das eine war ein Executive Meeting (so etwas wie ein Beirat für das Council).  Die 16 Mitglieder (CEO’s von großen Firmen wie T-Mobile, Bank of America, Chevron etc) haben sich getroffen, um über die wirtschaftliche Lage zu sprechen und die Arbeit des Bay Area Council zu diskutieren. Das Projekt Constitutional Convention wurde auch besprochen und mir ist aufgefallen, wie wenig die Leute hier ihren Politikern zutrauen. In Deutschland ist das natürlich auch ein beliebtes Thema, aber hier hört man dauernd Sprüche wie: Eine Regierung schafft selbst nichts Neues, sie kann nur das, was vorherige Generationen erbacht haben, besteuern. Es ist auch eigentlich niemand sauer auf die gewählten Repräsentanten, weil man von ihnen nichts erwartet hat. Das demokratische System bringt halt solche Leute hervor, deshalb müssen wir am System etwas ändern. – Hilfe, was würde das in Deutschland für eine Diskussion auslösen?

Gestern konnte ich dann an der großen Jahreskonferenz des Bay Area Councils teilnehmen. Ich hatte ein bißchen Selbstkritik der Branche erwartet und viel Kritik an der Regierung und Gewerkschaften. Arnold Schwarzenegger ist sogar zu einem lockeren Plausch gekommen, aber kritisiert hat ihn niemand. Eigentlich hat er gesagt, dass er sein Bestes tue, aber die Abgeordneten nicht zu führen sind. Das hat niemand bestritten. (Er hat sich tatsächlich mit “I’ll be back.” verabschiedet!!)

Selbstkritik gab es keine. Man wolle die Krise auch als etwas Positives sehen. Eine Zeit in der man sich konsolidiert und ja nicht vergessen darf in Innovationen zu investieren, da der nächste Aufschwung schon vor der Tür steht, den wolle man ja nicht verpassen. Über das riesige Hilfspaket der Regierung wurde nur ganz kurz geredet. Fast so als wenn es ihnen peinlich ist, jetzt Geld vom Staat anzunehmen. Man wolle das lieber alleine schaffen, man hat schließlich schon mehrere Krisen überstanden. Außerdem wüssten die in Washington überaupt nicht, was läuft. Trotzdem Obama macht eine Sache richtig: Er strahlt Optimismus aus!

Aber es sind nicht nur die Unternehmen, die sich wenig Einmischung vom Staat wünschen. Viele Leute hegen ein ganz tiefes Misstrauen Politikern gegenüber und wollen, glaube ich, nur eine Art Verwaltung. Über die Verwendung von Steuermitteln stimmen sie gerne selbst ab. Z.B. haben die Wähler in Kalifornien vor einigen Jahren entschieden einen großen Teil der Einnahmen aus der Tabaksteuer in das Bildungssystem zu stecken. Am 19. Mai 2009 wird dann über eine Prop entschieden, die fragt, ob jetzt dieses Geld nicht lieber für das Stopfen von Haushaltslöchern verwendet werden soll. Schulen müssten dann Einschnitte von mehreren Millionen Dollar hinnehmen. Und wenn in TV-Shows Politiker ihre Vorstellung für eine Neuordnung des Bankensystems erklären, fragt der Moderator, wie weit man denn dann noch vom Sozialismus entfernt sei!?

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5 Antworten to “Kalifornien in der Krise”

  1. Eva | 26/04/09

    Super interessant mal wieder. Spannende Eiblicke in das Leben in Kalifornien!
    Und herzlichen Glückwunsch, dass du den Fuß in der Tür hast! Witzige Vorstellung jemanden zu kennen, der die Geschicke eines amerikanischen Staats mit zu gestalten versucht. Viel Glück!!!!
    PS: Geld gibt`s aber nicht, oder?

  2. Nicola | 27/04/09

    Hört sich toll an! Ich sehe dich schon an wichtigen Positionen der amerikanischen Regierung…;-)

  3. Kathrin | 27/04/09

    Ich mich auch…

  4. Rhaban^ | 28/04/09

    Dann kannst Du ja auch die Einwanderungsvorschriften ändern.
    Der Job ist doch auch wichtig für Deine Aufenthaltserlaubnis, oder?
    Da war doch irgendwas mit Job und Aufenthalt und Besucherstatus usw.
    Denk daran, wir würden Dir täglich Blumenblätter streuen. Wie läuft das denn mit ner zeitlichen Befristung? Wie läuft Dein Job denn vertraglich?
    Ganz schön neugierig, was?
    Weiterhin viel Glück und Erfolg und Danke für den Blog,
    Rhaban

  5. Flug | 12/08/09

    Gebe dir vollkommen Recht, dass die Krise dem politischen System zuzuschreiben ist. Bedenkt man, wieviel wirtschaftliches Potential in dem Staat Kalifornien steckt, scheint es verwunderlich, dass solch eine Krise überhaupt existiert, ganz davon abgesehen, welche Spekultionen an der Börse vergeigt wurden.
    Eine Koalition von Reps und Demokraten wäre natürlich eine Lösung, nur steht dem die menschliche Ignoranz im Weg.
    Wünsche dir auf jeden Fall viel Erfolg!! Ich hoffe, du kannst mit der Aktion etwas erreichen. Das wichtigste ist dabei, was in den Köpfen der Menschen vorgeht und dass dich ihre Einstellung zu gewissen Bereichen der Politik ändern muss, damit sich auch eine wirtschaftliche Veränderung manifestieren kann.

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